"Einmal ordentlich" reicht nicht
Apples Passwort-Debakel: Sind die 1-Mann-Projekte schuld?
Kurzer Blick zurück. Im August 2010 beantwortet der Produkt-Designer Sachin Agarwal eine damals hitzig diskutierte Frage: Warum aktualisierte Apple seine hauseigenen Remote-Applikation nicht?
Langjährige Phone-Nutzer werden sich erinnern: In dem Spätsommer vor sieben Jahren warteten wir bereits acht Monate auf ein Update der Software-Fernbedienung, die damals weder an das iPad noch an das Retina-Display der aktuellen iPhone-Modelle, geschweige denn an iOS 4 angepasst war.
Unter der Überschrift „Apple is run like a huge startup“ versuchte sich Sachin an einer Erklärung. Die 2MB große Applikation wurde von nur einem Programmierer entwickelt. Sachin schrieb:
Ich sag euch warum sie nicht aktualisiert wurde. Die Person, die die Remote-App programmiert hat – ein guter Freund von mir – ist gerade mit einer anderen Aufgabe beschäftigt. Die Entwickler aus den Mac OS- und iOS-Teams wechseln laufend zwischen ihren Projektgruppen hin und her und werden von Apple nach Bedarf mit neuen Arbeitsaufträgen versorgt. Diese hängen vor allem davon ab, was als nächstes ausgeliefert werden muss und welches System als nächstes Aktualisiert werden soll.
Ohnehin sind Apples Software-Teams deutlich kleiner als man bei einem Konzern von der Größe Cupertinos annehmen könnte. Glaubt man den Erzählungen ehemaliger Mitarbeiter und Freunde aktuell Beschäftigter, sind 1-Mann-Projekte keine Ausnahmeerscheinung, sondern fest in Apples Firmenkultur verankert.
Die 1-Mann-Projekte benötigen keine Meetings, können weitgehend auf den bürokratischen Overhead typischer Arbeitsgruppen verzichten und sind in der Lage konzentriert durchzuarbeiten ohne sich alle zwei Tage abstimmen und neue Kollegen unter Berücksichtigung des Mythical Man-Month einarbeiten zu müssen.
Das Fallbeispiel: Festplattendienstprogramm
Womit wir beim Festplattendienstprogramm von macOS High Sierra angekommen wären und uns, ihr entschuldigt das laute Grübeln hoffentlich, einfach mal an den wilden Spekulationen im Netz beteiligen.
Das Festplattendienstprogramm bis Mac OS Yosemite
Wie berichtet ist das Festplattendienstprogramm erst Ende September durch einen massiven Patzer in seiner Passwort-Verwaltung aufgefallen. Bei bestimmten Arbeitsabläufen wurden hier die vom Nutzer eingegebenen Passwörter und nicht die eigentlich vorgesehenen Merkhilfen eingeblendet. Ein Bug, der von vielen Heimanwendern mit einem Schulterzucken kommentiert wurde, Aktivisten und Journalisten in nicht ganz so demokratischen Ländern aber ein kaltes Schaudern über den Rücken hat laufen lassen.
Ein gewaltiger Faux-Pas, dessen zweiwöchiges Vorhandensein Apple mit einer Flut hämischer Kommentare überzogen hat. Eine Konzern von Apples Größe muss mit einer angemessenen QA-Prüfung sicherstellen, dass sicherheitskritische System-Funktionen, wie etwa die Passwortverwaltung des Festplattendienstprogramm, ohne Anfänger-Fehler ausgeliefert werden. So der Tenor im Web.
Im Zweifelsfall neu Schreiben
Doch nicht wenige Apple-Beobachter winkten sofort wieder ab: Wahrscheinlich würde es sich auch bei dem neuen Festplattendienstprogramm wieder um eines der 1-Mann-Projekte Cupertinos handeln.
Diese sehen sich nämlich regelmäßig mit dem selben Problem konfrontiert: Die App um die es geht wurde irgendwann mal im Rahmen eines 1-Mann-Projektes entwickelt und anschließend einfach liegen gelassen. Der damals verantwortliche Mitarbeiter ist mittlerweile in einem anderem Team oder vielleicht sogar bei einem anderen Arbeitgeber aktiv und plötzlich werden neue Funktionen benötigt. Was tun?
Stimmt die Gerüchtelage passiert oft folgendes: Der Apple-Mitarbeiter, der sich nun um die neue Version der App kümmern soll – vielleicht wird gerade ein ganz dringendes Feature für ein neues Dateisystem, einen neuen Display-Typ oder ein frisches Betriebssystem benötigt – setzt sich vor den alten Code, atmet einmal tief durch und entscheidet: „Ich bin schneller, wenn ich die Sache einmal neu schreibe, als mich in den Code vom letzten Rockstar-Programmierer einzulesen.“
Im Ergebnis kommen die so grunderneuerten Apps oft mit zahlreichen Kinderkrankheiten, einem abgespeckten Funktionsumfang und komplett neu gestalteten Oberflächen auf Mac, iPhone oder iPad. Die Remote-App, Fotos (auch wenn es sich bei beim iPhoto-Vorgänger wohl um ein Team gehandelt haben dürfte) und das Festplattendienstprogramm dürfen als Negativ-Beispiele herhalten.
Eine Pointe können wir euch leider nicht anbieten
Das neue Festplattendienstprogramm führte Apple mit El Capitan ein und reduzierte den Funktionsumfang drastisch. Die runderneuerte App trat unter El Capitan zwar mit einem schicken neuen Interface an, konnte aber keine CDs mehr brennen, verzichtete auf ihre kraftvollen RAID-Funktionen, das Reparieren von Zugriffsrechten und das sichere und mehrfache Löschen von ausgewählten Datenträgern. Hinzu kamen neue Fehler wie eine problematische Handhabung von Sonderzeichen und nicht zuletzt die eingangs besprochene Passwort-Macke.
Patzer, die Apple-intern nur selten auffallen, da die Mitarbeiter hier bevorzugt auf das Terminal und spezielle In-House-Tools und nicht auf die grafische Oberfläche des Festplattendienstprogramms setzen.
Eine Pointe können wir euch leider nicht anbieten, beenden unsere Spekulationen aber mit einem Wetteinsatz.
Zwar hat Apple hat den Passwort-Patzer relativ schnell berichtigt und auch in einem gesonderten Support-Dokument adressiert – wir setzen allerdings 5 Euro darauf, dass sich der für den Notfalleinsatz abgestellte Mitarbeiter zumindest einmal gefragt hat, ob er das Festplattendienstprogramms nicht einfach neu schreiben soll.